lydisches Reich

lydisches Reich
lydisches Reich
 
Wann und wie auch immer sich die Zerschlagung des phrygischen Großreiches durch die Kimmerier vollzogen haben mag, Gewinner und politische Erben der Phryger in Kleinasien waren letztendlich nicht die nomadisierenden Eroberer Gordions, sondern die benachbarten einheimisch-westkleinasiatischen Lyder.
 
 Das Territorium des lydischen Reiches
 
Lydien, als Landschaftsname erst für das 7. Jahrhundert v. Chr. in griechischen und assyrischen Zeugnissen belegt, bildete in der Antike die zentrale Landschaft Westanatoliens. Gekennzeichnet und gegliedert wurde das Land durch die vier fruchtbaren Flusstäler des Kaikos, Hermos, Kaystros und Mäander (Maiandros) sowie die gleichfalls in Ost-West-Richtung sich erstreckenden Gebirgszüge des Tmolos und der Messogis. Begrenzt wurde es im Norden gegenüber Mysien durch den Kaikos (heute Bakɪr çayɪ), dann durch den Kamm des Temnosgebirges (Demirci Dağlarɪ) bis zu den Quellen des Hermos (Gediz); von dort verlief die »Grenze« zum Berg Dindymon (Murat Dağɪ), dann scharf südlich zu den Quellen des Mäander (Büyük Menderes), der seinerseits als südliche Grenzlinie gegenüber Karien fungierte. Im Westen grenzte das Land an die Territorien der Griechenstädte der kleinasiatischen Westküste. Im Tmolos (Boz Dağlarɪ), der bis auf eine Höhe von 2100 m ansteigt, entspringt der »Gold« bzw. »Elektron führende« Paktolos (Sart çayɪ), ein Nebenfluss des Hermos; die bis 1600 m hohe Messogis (Cuma Dağlarɪ) trennt die Täler des Kaystros (Küçük Menderes) und des Mäander. Den Ostteil Lydiens, nördlich des Hermos, bestimmt eine Ebene, die wegen ihres vulkanischen Ursprungs von den Griechen »Katakekaumene« (»die verbrannte [Landschaft]«) genannt und in römischer Zeit wegen ihres vorzüglichen Weines geschätzt wurde.
 
Als Zentralort des Landes erscheint in der Antike das im Binnenland im Tal des Hermos gelegene Sardes (Sardeis); für unsere Zeit wichtig sind auch die Städte Hypaipa südlich des Tmolos, Magnesia am Sipylos (Manisa) sowie die östlichen Grenzstädte Bageis und Kydrara. Im Verlauf ihrer Geschichte gewannen die Lyder zu ihrem Kernland noch den Westteil Phrygiens hinzu und schoben ihre Ostgrenze zeitweilig sogar bis zum Halys (Kɪzɪlɪrmak) vor. Im 6. Jahrhundert wurden zudem im Norden Bithynien und im Westen die Griechenstädte Magnesia am Mäander, Kolophon, Priene, Smyrna (İzmir), Ephesos u. a., nicht aber Milet ins lydische Reichsgebiet inkorporiert. Lydien hatte sich damit neben Ägypten, Babylonien und Medien für kurze Zeit als eine der vier vorderasiatischen Großmächte etabliert.
 
 Die Überlieferung
 
Unsere Hauptquelle für die lydische Geschichte bildet das 1. Buch der »Historien« Herodots, publiziert in den 20er-Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr.; daneben sind aus dem Bereich der westlichen Überlieferung vor allem die Fragmente der »Lydischen Geschichte« des Xanthos zu nennen, die uns in erster Linie durch die ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene »Weltgeschichte« des Augustuszeitgenossen Nikolaos von Damaskus überliefert worden sind. Fällt es bei beiden nicht immer leicht, Sagenhaftes von Historischem, »Geschichten« von »Geschichte« zu trennen und in einem historischen Kontinuum zu platzieren, so sind wir für einige Abschnitte lydischer Geschichte glücklicherweise in der Lage, den westlichen Zeugnissen die östliche, vor allem assyrische und babylonische, Überlieferung vergleichend an die Seite zu stellen.
 
Wie schon im Falle der Phryger ist auch für die Geschichte und Kultur ihrer westlichen Nachbarn und politischen Nachfolger das einheimisch-inschriftliche und vor allem das archäologische Material von herausragender Bedeutung. Unter den bis heute ans Licht geförderten 113 Exemplaren lydischer Sprachdenkmäler — vornehmlich Grab- oder Weihinschriften auf Stein, Signaturen auf Keramik sowie Siegel- und Münzaufschriften — stammen die meisten aus der Zeit persischer Herrschaft in Lydien und sind nur von begrenztem historischem Interesse. Immerhin hat man unter den vorpersischen lydischen Inschriften auch solche außerhalb des Kernlandes entdeckt: Während dabei Graffiti auf Gefäßbruchstücken und Steinmetzmarken auf nicht facettierten Säulentrommeln des archaischen Athenatempels in Alt-Smyrna enge kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zwischen Sardes und den griechischen Siedlungen an der Küste erkennen lassen, ist ein Graffito aus Daskyleion am Manyassee nicht nur unser bislang nördlichstes lydisches Sprachdenkmal, sondern es unterstreicht auch die aus der antiken Literatur bekannten Verbindungen zwischen der Mermnadendynastie und jener bithynischen Ortschaft.
 
Innerhalb des archäologischen Materials ragen die amerikanischen Grabungsfunde aus dem für lydische »Städte« eher untypischen Sardes heraus. Dieser Residenzort wurde um eine natürliche Zitadelle oder Akropolis herum nahe dem Paktolos errichtet. Die größtenteils noch nicht ergrabene Unterstadt war wenigstens 100 ha groß und durch eine massive Befestigungsmauer von 20 m Stärke mit zusätzlichen Aufschüttungen geschützt; die 300 m hoch gelegene Akropolis war nach Arrian (Anabasis 1, 17, 5) dreifach gesichert. Unter den damaligen architektonischen Sehenswürdigkeiten der Stadt, die wir in erster Linie aus der antiken Literatur kennen, sind namentlich der aus Lehmziegeln errichtete Palast des Krösus (Kroisos) und der Tempel der Kubaba (Kybele) erwähnenswert. Das Heiligtum dieser Göttin, 499 v. Chr. von den Griechen im Ionischen Aufstand niedergebrannt und von den Persern wieder errichtet, ist auch durch Votivgaben, darunter zwei Tempelmodelle, bezeugt. Auch ein einfacher Feldsteinaltar nahe den Handwerkerquartieren am Paktolos ist wohl mit Kubaba in Verbindung zu bringen. Von Herodot (5,101) erwähnte und zum Teil ergrabene Wohnhäuser sowie ausgedehnte Friedhöfe auf beiden Seiten des Paktolos mit mehr als 1000 Kammergräbern, mit Tumulus- und Sarkophagbestattungen bzw. Kistengräbern (6. Jahrhundert v. Chr. bis römische Zeit) ergänzen den Befund in und nahe der Stadt. Unter den mehr als 100 Grabhügeln vom Bin Tepe, 8 km nördlich von Sardes, befinden sich auch solche, die als Königsgrabstätten (für Gyges, Alyattes) gedeutet werden. Während die Zitadelle in der Antike wenigstens zweimal feindlichen Belagerungen — durch Kimmerier und durch die aufständischen Griechen — trotzen konnte, widerstanden sie und die Befestigungsmauer der Unterstadt dem persischen Angriff auf die Stadt 546 v. Chr. nicht. Als der Zerstörungshorizont der Mauer, das heißt die Fundschicht mit den Resten der zerstörten Mauer, vor einigen Jahren archäologisch nachgewiesen und untersucht wurde, fand man dort das Skelett eines im Kampf gefallenen Soldaten und die Überreste eines Helms. Von beiden ist nicht in Erfahrung zu bringen, ob sie einem lydischen Verteidiger der Stadt oder einem persischen Angreifer zuzuweisen sind.
 
 Erste Anfänge: Wer waren die Lyder?
 
Aus dem Umstand, dass die lydische Sprache zum hethitisch-luwischen Sprachzweig des Indogermanischen zählt, ergibt sich, dass die ursprüngliche lydischsprachige Bevölkerung Westkleinasiens einheimisch-anatolischer Herkunft sein muss. Auch die religiösen und kulturellen Traditionen der Lyder legen dies nahe. Die Anfänge lydischer Geschichte liegen allerdings im Dunkeln: Aus Funden mykenischer Keramik an zahlreichen lydischen Plätzen hat man die These abgeleitet, mykenische Einwanderer hätten das Hinterland beherrscht, sich dann aber in den »dunklen Jahrhunderten« (1200—800 v. Chr.) an die Lyder assimiliert. Diese sind für die frühe Zeit nur indirekt bezeugt: durch zahlreiche Namen von Landschaften und Orten in hethitisch-keilschriftlichen Zeugnissen des 15.—13. Jahrhunderts einerseits, durch Siedlungshorizonte (Siedlungsschichten) in Sardes andererseits, die immerhin bis in die späte Bronze- und frühe Eisenzeit zurückführen. Kolonisationsbewegungen aus dem griechischen Mutterland (Attika und Euböa) führten in der vorarchaischen Zeit zur Siedlung vor allem ionischer Griechen an der lydischen Ägäisküste.
 
 Erste Taten: König Gyges tritt auf
 
Tragen die von Herodot überlieferten frühen Herrscherhäuser Lydiens, die Atyaden und Tyloniden (Herakliden), noch sagenhafte Züge, so stehen wir für die Taten des Gyges, des Stifters der Mermnadendynastie im 7. Jahrhundert v. Chr., auf festerem Grund. Allerdings leistet auch für diese Zeit der literarisch anspruchsvolle und durch philosophisch-theologische Bezüge ausgezeichnete Bericht Herodots keine wirkliche Einbettung der lydischen Reichsgründungsphase in die vorderorientalische Geschichte; selbst die Beschreibung der inneren Verhältnisse des Reiches unter Gyges' Herrschaft erschöpft sich in Hofgeschichten. Aussagekräftiger sind die assyrischen Texte aus der Zeit Assurbanipals (669—627). Sie bezeugen ein erfolgreiches assyrisch-lydisches Bündnis gegen die Kimmerier in den 60er-Jahren des 7. Jahrhunderts, kurz darauf jedoch auch ein lydisch-ägyptisches Zusammengehen gegen Assyrien. Bemerkenswert bei der ersten Kontaktaufnahme zwischen Gyges und Assurbanipal ist die offensichtliche »Exotik« Lydiens für den Assyrerkönig. Konnte Gyges sich auch eine Zeit lang mit assyrischer Hilfe gegen die Kimmerier behaupten, so fand er doch, wie Midas von Phrygien, sein Ende bei einem erneuten und diesmal verheerenden Einfall des Reitervolkes um 645 v. Chr., von den Assyrern als Strafe für sein Zusammengehen mit Ägypten interpretiert. Über Gyges' Verbindungen nach Westen berichtet uns die griechische Überlieferung: In ihr erscheint er als Kriegsgegner der Griechen von Magnesia, Milet, Smyrna und Kolophon, zugleich aber auch als großzügiger Förderer Delphis. Auch Gyges' Reichtum war im Westen sprichwörtlich, traditionsbestimmend bis in unsere Zeit wurden jedoch die in der Antike umlaufenden Geschichten von seiner Machtübernahme, in denen ein Ring bzw. die Frau des Vorgängers Kandaules eine wichtige Rolle spielen. Nach der einen, wohl älteren Version, die Platon (Politeia 359d —360a) und Cicero (De officiis 3, 38) überliefern, fand der Hirt Gyges in einer Grotte einen Ring, der den Träger unsichtbar zu machen imstande war. Mit seiner Hilfe war Gyges in der Lage, Kandaules zu ermorden. Dagegen berichtet Herodot (1, 8—14), der auf die Schönheit seiner Frau stolze Kandaules habe seinen Leibwächter Gyges gezwungen zuzusehen, wie die Königin sich entkleidete. Die Frau, der dies nicht entgangen war, rief am nächsten Tag Gyges zu sich und stellte ihn vor die Wahl, entweder ihren Mann zu töten und sie und die Königsherrschaft zu übernehmen oder selbst auf der Stelle getötet zu werden. Gyges entschied sich für den Königsmord und bestieg, mit der Frau des Kandaules an seiner Seite, den Thron.
 
 Lydien unter Alyattes und Krösus
 
Während Gyges' Nachfolger Ardys und Sadyattes gegen die Kimmerier wieder die Nähe zu Assyrien suchten und ansonsten in Auseinandersetzungen mit den Griechen der Westküste verstrickt waren, wurden die Regierungszeiten des Alyattes (etwa 610—560) und seines Sohnes Krösus (etwa 560—546) zu Höhepunkten lydischer Geschichte und Kultur. Als strahlender Sieger über die Kimmerier, die er endgültig aus Kleinasien vertreiben konnte, verzeichnete Alyattes auch andere außenpolitische Erfolge: Im Kampf gegen Ionier und Karer gelang ihm die — archäologisch nachgewiesene — Einnahme Smyrnas, das von kimmerischen Raubzügen erlöste Phrygien erlebte unter ihm eine neue kulturelle Blüte, und der mehrere Jahre dauernde Krieg mit den Medern endete unter Vermittlung der Herrscher von Babylon und Kilikien mit der gegenseitigen Anerkennung des Halys als Grenze, einem Abkommen, das durch eine politische Heirat bekräftigt wurde. Auf dieser Basis äußerer Sicherheit prosperierte das Lydien des Alyattes auch wirtschaftlich; in seine Regierungszeit gehört wohl auch die Prägung der ersten in der Antike bezeugten und »staatlich« garantierten Münzen, aus der (natürlich vorkommenden) Gold-Silber-Legierung Elektron hergestellt. Das lydische Münzgeld dürfte dabei zunächst nur als Hort- und Schatzgeld, dann auch als Kreditgeld im nichtkommerziellen, staatlichen Bereich gedient haben, bevor es die Griechen des Reiches als Handels- und Verkehrsgeld in Umlauf brachten. Bestattet worden soll der König in dem noch heute auffälligsten Monument im Bezirk von Sardes sein, einem Grabhügel von 355 m Durchmesser und über 60 m Höhe nördlich der Residenzstadt, zwischen der Hermosebene und dem »Gygessee« gelegen.
 
 Das Ende des lydischen Reiches
 
Dem sagenhaft reichen Sohn und Nachfolger des Alyattes, Krösus, der sich gleichfalls den griechischen Heiligtümern gegenüber erkenntlich zeigte, gelang es mehr als ein Jahrzehnt lang, die Hegemonie Lydiens in West- und Mittelanatolien zu behaupten, ja, gegenüber den Griechenstädten sogar noch auszubauen. Umso überraschender kam das Ende des Reiches. Im von ihm selbst provozierten Kampf gegen den Perserkönig Kyros verlor Krösus bei der persischen Eroberung von Sardes Leib und Leben; die Stadt wurde Satrapensitz und persisches Verwaltungszentrum in Westkleinasien. Nach Herodot (1,53) hatte ein delphischer Orakelspruch Krösus zum Krieg gegen den neuen Nachbarn am Halys verleitet; der Spruch besagte, beim Kampf gegen die Perser werde der Lyderkönig ein großes Reich zerstören. Krösus bezog diese Aussage auf das Perserreich, doch der Krieg endete mit der vernichtenden Niederlage der Lyder. Die ebenfalls von Herodot überlieferte, allseits bekannte und angeblich durch die Erkenntnis der Weisheit Solons bedingte Schonung des Krösus, der bereits den Scheiterhaufen bestiegen hat, durch den Perserkönig Kyros ist dabei gänzlich unhistorisch. Nicht nur sind antike Zeugnisse bekannt, die vom Tod des Krösus berichten, nein, die kyrosfreundlichen Versionen sind inzwischen als spätere Stadien der Bearbeitung der Krösustradition erkannt worden. Dabei ergibt sich, wie der Altphilologe Walter Burkert aufweist, eine Kette »von der Feststellung der Katastrophe (babylonische Nabonidchronik: Krösus fällt durch Kyros' Hand) über die bildhafte Ausmalung der Katastrophe (Vasenbild des Myson) zur jenseitigen Ergänzung (der griechische Chorlyriker Bakchylides: Krösus verdankt seine Rettung göttlichem Eingreifen) und schließlich zur pseudohistorischen Rationalisierung (Herodot: Kyros schont den Krösus).«
 
 Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur des Lyderreiches
 
Über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Lydien der Vorperserzeit wissen wir nur sehr wenig. In der für Lydien — wie für Phrygien — charakteristischen Palastwirtschaft spiegelt sich mesopotamischer Einfluss. Nach Herodot haben der lydische König und eine vermögende Schicht von Aristokraten ihr Einkommen in erster Linie aus ihrem Landbesitz bezogen, darüber hinaus auch aus dem Handel, besonders dem Fernhandel. Man hat annehmen wollen, dass sie diesen durch die Milesier abwickeln ließen, die seit Alyattes' vergeblichem Versuch der Unterwerfung als »Freunde und Bundesgenossen« wegen ihrer aktiven Kolonisationspolitik über zahlreiche Handelskontakte verfügten. Es verwunderte dann nicht, dass der milesisch-lydische Münzfuß für viele Elektronprägungen in Anatolien und im Ägäisraum, später auch für die lydischen Gold- und Silbermünzen des Krösus verbindlich wurde. Mit den Edelmetallen sind auch schon die neben den vielfältigen landwirtschaftlichen Produkten wichtigsten und ertragreichsten Ressourcen Lydiens genannt: Der »Gold führende« Paktolos und Krösus' Zurschaustellung seines Reichtums in Sardes und in griechischen Heiligtümern sind nicht umsonst in der griechischen Literatur häufig kommentiert worden. Die in Bageis gefundenen Schätze von Gefäßen und Schmuckstücken aus Gold, Silber und Elektron, die aus Sardes bekannten Gerätschaften zur Abtrennung von Gold und Silber aus Elektron sowie die Münzen selbst, die »Kroiseïden«, mit den Protomen (Vorderteilen) von Löwe und Stier, bestätigen das Bild der literarischen Zeugnisse auf anschauliche Weise.
 
Die lydische Kultur des 7. und 6. Jahrhunderts zeichnet sich durch ihren ausgesprochen anatolischen Charakter aus, auf den vor allem ostgriechische, nicht jedoch vorderasiatische Einflüsse gewirkt haben. Mit den anatolischen Nachbarn verbanden die Lyder die — im Innern allerdings anders konstruierten — Tumuli, die Felsgräber und Teile der Keramikproduktion; griechischer Einfluss ist in den Bereichen von Tracht und Mode, Schrift, Stein- und Terrakottaornamentik, Skulptur und Gefäßformen spürbar. Als lydische (Luxus-)Handelsgüter erscheinen Töpferware, Textilien sowie Farb- und Kosmetikgrundstoffe. Lydische Steinmetze, Gold- und Silberschmiede sowie Textilarbeiter waren so begehrt, dass noch die persischen Großkönige sie auf ihren Baustellen sowie in ihren Werkstätten und Schatzhäusern zu beschäftigen suchten.
 
Was die Sprache der Lyder angeht, so steht fest, dass das uns immer noch recht unbekannte Lydische zur hethitisch-luwischen Sprachgruppe des Indogermanischen gehört, vermutlich, wie das Luwische und das Lykische, eher zu deren südlichem Zweig. Die 113 bislang bekannten lydischen Inschriften, von denen bereits die Rede war, sind dabei in einem eigenen Alphabet abgefasst, das wohl von einem griechischen abgeleitet ist. Die spärliche Bezeugung der lydischen Sprache seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. legt übrigens eine rasche Ablösung des Lydischen durch die griechische Koine, die Verkehrssprache der hellenistischen Zeit, nahe, zumindest im Schriftgebrauch. Die Vergänglichkeit der üblichen Beschreibstoffe hat zwar für Lücken in der Überlieferung gesorgt, doch spricht wenig dafür, dass es so etwas wie eine anspruchsvolle Literatur in lydischer Sprache gegeben hat. Auf die Griechen Eindruck gemacht haben dagegen lydische Musik, lydischer Tanz und die orientalische Form der Tempelprostitution.
 
Über die frühen religiösen Verhältnisse in Lydien wissen wir nur wenig: Die Inschriften bewahren mehr als ein Dutzend Namen von Göttern und Göttinnen, zumeist in ihrer Funktion als Schutzgottheiten von Gräbern, doch ist wegen der relativ späten Entstehungszeit der Texte nicht immer zu klären, wann und wie diese Gottheiten in den lydischen Götterhimmel gelangt sind. Einheimisch-kleinasiatischen Ursprungs sind neben dem alten hethitisch-luwischen Mondgott Arma und dem hethitischen Sonnengott Tiwata, die allerdings nur als Bestandteile von Personennamen erscheinen, wohl vor allem die Kubaba von Sardes, die sich als ionisierte Form der phrygischen Kybele erwiesen hat, sowie ihr Parhedros (begleitender Daimon) Sandas. Dagegen bezeugen Namen wie Artimus (Artemis), Lametrus (Demeter) und weniger sicher Levs (Zeus) Entlehnungen aus dem griechischen Bereich. Ausgehend von zum Teil älteren Mythen haben in späterer Zeit »Gelehrte« aus Lydien — oft genug in Konkurrenz zueinander — versucht, in Inschriften und auf Münzen ihre Heimat als Stätte der Geburt eben solcher Gottheiten vorzustellen und daraus für die Städte, Heiligtümer und Regionen ein besonders enges Verhältnis zu den Göttern und eine besondere Würde abzuleiten: Wie Zeus, so sollen etwa auch die große Göttermutter oder Dionysos hier geboren worden sein oder gelebt haben. Kann man sich für den Reichtum, die übrigen Vorzüge und das Alter von Sardes und Lydien einen besseren Beweis denken als den ursprünglicher göttlicher Bevorzugung?
 
Prof. Dr. Josef Wiesehöfer
 
 
Akurgal, Ekrem: Die Kunst Anatoliens von Homer bis Alexander. Berlin 1961.
 
Der alte Orient. Geschichte und Kultur des alten Vorderasien, Beiträge von Barthel Hrouda u. a. München 1991.
 
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Fischer-Weltgeschichte, Band 4: Die altorientalischen Reiche, Teil 3: Die erste Hälfte des 1. Jahrtausends, herausgegeben von Elena Cassin u. a. Frankfurt am Main 1993.
 
Forschungen in Lydien, herausgegeben von Elmar Schwertheim. Bonn 1995.
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 Heubeck, Alfred: Lydiaka. Untersuchungen zu Schrift, Sprache und Götternamen der Lyder. Erlangen 1959.
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 Pedley, John Griffiths: Ancient literary sources on Sardis. Cambridge, Mass.1972.
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Sardis: twenty-seven years of discovery. Papers presented at a symposium sponsored by the Archaeological Institute of America, Chicago Society, and the Oriental Institute of the University of Chicago. held at the Oriental Institute, March 21, 1987, herausgegeben von Eleanor Guralnick. Chicago, Ill. 1987.
 
Sardis from prehistoric to Roman times. Results to the archaeological exploration of Sardis, 1958-75, herausgegeben von George M. Hanfmann. Mit Beiträgen von Clive Foss u. a. Cambridge, Mass. u. a. 1983.
 
State archives of Assyria, veröffentlicht vom Neo-Assyrian Text Corpus Project of the Academy of Finland u. a. Band 1: Letters from Assyria and the West, herausgegeben von Simo Parpola. Helsinki 1987.
 
State archives of Assyria, veröffentlicht vom Neo-Assyrian Text Corpus Project of the Academy of Finland u. a. Band 4: Queries to the Sungod, herausgegeben von Ivan Starr. Helsinki 1990.

Universal-Lexikon. 2012.

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